Du sollst mein Führerstern sein!

 

Für ein Berliner Blatt habe ich mich vor fast einem Jahr über die Reaktionen der deutschen Kritiker auf den hiesigen Kinostart von „Frühling für Hitler“ anno 1976 orientiert. Sie waren meist freundlich, einige sogar begeistert. Einen der wenigen Verrisse (und zwar einen noch heftigeren als der „Filmdienst“, der gleichfalls zu den wenigen gehörte, die DAS J-WORT benutzten), sonderte Karsten Witte ab, in der „Frankfurter Rundschau“ vom 26. März 1976.

Er hob an mit Marx (leider Karl, nicht Groucho), ließ sich dann weitschweifig über Tragödie, Farce und Faschismusfaszination aus und lag natürlich (1976!) sehr richtig mit der Diagnose: „Ein letzter Kitzel auf dem Weg zum Friedhof, dann wird die Nostalgie begraben.“ Ja, nach 1976 war’s dann ja mit der Nostalgie bald vorbei – im allgemeinen wie auf die Nazis bezogen im besonderen.

Wie im Falle der Texte der (mindestens!) ebenso begnadeten Frieda Grafe habe ich, auf Grund meiner begrenzten Intelligenz, leider auch hier teilweise nicht so recht verstanden, was uns die Kritikerin eigentlich sagen wollte (oder ob sie das nicht auch hätte klarer formulieren können): „Die Frage, welcher Wirt die Rechnung schreibt, beantwortet das Drehbuch, das zum einen sarkastischen Jux mit dem jüdischen Unterhaltungsgewerbe treibt, das den Faschismus als Farce inszeniert, und sich zum anderen dramaturgisch dadurch selbst bestraft, indem es – wie in allen Komödien – Gewinnstreben und Geltungssucht der Unterhalter wie Zerstreuungssucht der Unterhaltenen mit Schadenfreude geißelt. Mel Brooks spekuliert darauf, daß wir diese Schadenfreude investieren in sein Defizit an Legitimation, einen solchen Jux zu wagen. Beides platzt. Der Spaß ist dürftig. Zu schleppend gerät die Farce in Gang und wird dann gedrosselt abgefahren.“

Das besondere Mißfallen Wittes erregte Zero Mostel, wobei ganz sicher nicht die Enttäuschung eine Rolle gespielt hat, daß hier unverständlicherweise statt eines schwarzgelockten athletischen Jünglings ein dicker Alter mit Halbglatze die reichen Rentnerinnen flachlegt: „Das Witzigste an diesem Darsteller ist sein Name. Aus seinem Körper wären viele Nullen zu quetschen; um aber attraktiv zu werden, bedürfte es einer erstklassigen Eins.“

Klar, die steht ja auch viel strammer! Schlimm auch die Dialoge, „von Klaus Havenstein, dem abgetakelten Conférencier im Synchronstimmen-Museum eingedeutscht“, doch am schlimmsten an diesem gesamten „Mißgriff“ von Film die Tendenz: „Die Tänzer bilden ein Hakenkreuz, das Ornament der Leiber behauptet das Innewerden einer Einsicht, die dem Film nicht als kritisch einzukleben ist. Vielmehr imitiert die Regie exakt die Selbstdarstellung des Faschismus in seinen Unterhaltungsformen. Zerletts Revue ‚Es leuchten die Sterne’ (1938) und die Songs von ‚Singin’ in the Rain’ (1952) standen ungebeten Pate.“

Habe mir daraufhin noch einmal das letztgenannte berühmt-berüchtigte Produkt der NS-Unterhaltungspropaganda vor Augen geführt und war zutiefst erschüttert! Endlich wurde mir alles klar: Der Regen symbolisiert das ungesunde Klima der Systemzeit, von welchem sich der redliche Held, der sich vom Hallodri zum ernsthaften Künstler wandelt, jedoch nicht verdrießen läßt: Ein wackeres Lied auf den Lippen, marschiert er unbeirrt voran, auch wenn die Verhältnisse – wie an anderer Stelle demonstriert – zum Die-Wände-Hochlaufen sind. Die affektierte, in jeder Hinsicht gekünstelte Lina Lamont (Welscher Name! Heißt vermutlich in Wahrheit Lea Lamonski! Und hat sich die Nase korrigieren lassen!) versucht sich mit unsauberen Mitteln, Manipulationen, Hinterlist und billigem Tand Ruhm zu verschaffen, welcher von Rechts wegen (Wortspiel beabsichtigt) dem gesunden, frischen, sauberen Mädel Kati zusteht. Durch einen mutigen Akt der Rebellion werden die verworrenen Verhältnisse geklärt und zu einem Triumph der Gerechtigkeit geführt – der Kinosaal erwacht! Und der Glücksstern, welcher angesungen wird, der über allem leuchtet und alles leitet, soll natürlich niemand anderes sein als der Führer. Entweder aus einer anderen Dimension (1952) oder aber als Beleg dafür, daß Hitler sich gar nicht in Argentinien oder am Amazonas verbarg, sondern in Hollywood – einem bekanntlich von Nazis vollständig unterwanderten Ort, von dem aus seine Pgs das Vierte Reich vorbereiteten! Mit der für das NS-Kino typischen Mischung aus Ironie und Ausgelassenheit!

 

Nachsatz: Dabei fällt mir ein „Boots“ betiteltes, wohl kurzes Filmlein ein, welches mal in irgendeiner gutmenschlichen Reihe angekündigt wurde als Werk, welches uns über die verheerende Symbolik wie auch Wirkung von Stiefeln aufklären wollte. Weshalb dies Schuhwerk generell zu ächten sei.

Da erst offenbarte sich mir die gesamte Diabolik des bekanntesten Produkts der berühmt-berüchtigten Kryptofaschistin Nancy Sinatra: „One of these days these boots are gonna walk all over you!“ heißt es da doch ganz harmlos tuend. Und als wenn dies nicht schon schlimm genug wäre, wird am Ende auch noch zum Aufbruch ins Vierte Reich aufgerufen: „Are you ready, boots? Start walking!“

Dagegen ist ja selbst Ivo Robics „Morgen“ harmlos. Wenn das irgendwelche Staatsanwälte mitbekommen – insbesondere in Stuttgart –, wird das Lied umgehend verboten.

Tötet alle Friseure und Stiefelträger!

 

 

Veröffentlicht am 12. Januar 2007.

 

 

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