Aus einer verlorenen Zeit
Rotweinrock und Lammfellmantel: Ein kleiner großer Film,
den aus gutem Grund kaum jemand kennt

 

Nach zwanzig Jahre ist’s genug: Waltraud und Siegfried Köhler geben ihre Textilreinigung in der Stargarder Straße in Berlin-Prenzlauer Berg auf, schließlich sind beide nicht mehr die jüngsten. Und trotzdem fällt der Abschied schwer, nicht nur dem Ehepaar, sondern auch seinen Kunden. Sei’s der kleinen Gespräche am Ladentisch wegen oder der gewissenhaften Arbeit, welche fast jeden Fleck und jede unerwünschte Falte verschwinden ließ.

2004 beobachteten Hannah Metten und Jan Gabbert für ihren Film „Rotweinrock und Lammfellmantel“ die letzten Wochen dieser Kiezinstitution auf fast asketische Weise: In dem gut dreiviertelstündigen Streifen gibt es keinen gesprochenen Kommentar, keine Schriftinserts, keine Musik (außer zum Abspann), erst recht keine Sperenzchen bei Kameraführung oder Montage. Es erklärt sich alles selbst, die Kamera verläßt den Laden nur, um ihn von außen zu zeigen, der Film konzentriert sich ganz auf das alte Ehepaar. Über dessen Privatleben erfährt man nur wenig. Um so mehr hingegen über die Arbeit der Köhlers: Individuellen Service, gewissenhafte Dienstleistung, Beratung, zu der auch gehört, einen Kunden darauf hinzuweisen, wenn er mit seinen Flokatiteppich ins Waschcenter ginge, könnte ihn das viel billiger kommen. Was man in genauen Beobachtungen und kurzen Interviews sieht und hört, bestätigt den wohligen Eindruck von Solidität, welchen schon das Ambiente des Ladens vermittelt: Hier soll einem nicht mit allerlei Marketingmätzchen und psychologischen Tricks etwas aufgenötigt werden, hier verwendet man nicht viel Mühe auf die Einrichtung und Inszenierung des Geschäfts, hier kümmert man sich lieber um die Sache(n) an sich, um die Qualität der Waren und Dienstleistungen. So wie es hier auch nicht um Kostenoptimierung und Profitmaximierung geht – sieht man einmal davon ab, daß Frau Köhler Recycling betreibt, indem sie Reklame und andere nicht mehr benötigte Drucksachen, so diese eine weiße Rückseite aufweisen, zerschneidet und als improvisierte Quittungen weiterverwendet. Statt sich Reklameaktionen auszudenken und permanent „Sale“ ans Schaufenster zu schreiben, konzentrieren sich Köhlers auf das, was sie den Kunden Reelles bieten: Denn chemische Reinigung ist chemische Reinigung, aber mit einem dermaßen sorgfältigen Kampf gegen jeden Flecken kann die Konkurrenz womöglich nicht aufwarten.

Recht bald wird deutlich: Der seinem Gegenstand entsprechend schlichte, stille Film erzählt in erster Linie von Arbeit, die Freude macht, davon, wie Arbeit schön sein kann, Sinnstifter und Lebenselixier. Weshalb dann auch nicht über die Höhe des Renteneintrittsalters diskutiert zu werden braucht: Die Köhlers gehen mit Ende sechzig in den Ruhestand. Und mit Bedauern. „Ich bin hier zwanzig Jahre gerne hergekommen, und das waren wirklich schöne zwanzig Jahre“, meint Waltraud Köhler und betont, sie sehe diese Arbeits- nicht als verlorene Zeit. Wie aus einer fernen, fremden, vergangenen, wahrhaft verlorenen Zeit wirkt aber das Arbeitsethos, welches „Rotweinrock und Lammfellmantel“ so unaufdringlich dokumentiert – heutzutage, wo Arbeitnehmer gern nur als lästige Kostenfaktoren behandelt werden, wo Arbeit weitgehend degradiert worden ist zu etwas, mit dem man irgendwo irgendwie ein wenig Geld verdienen soll. Auch zu Hungerlöhnen, auch in einzig der Statistikmanipulation dienenden „Maßnahmen“, auch zu unzumutbaren Bedingungen – welche ja einfach wegdefiniert worden sind: Von Vertretern jener Partei, die einmal zum Kampf gegen Ausbeutung gegründet worden ist; von Gestalten, die meinen, jede Arbeit sei zumutbar, und die dann ihr Verständnis von Anstand und Solidarität dokumentieren, indem sie öffentlichkeitswirksam kurz vor dem Wahltag dazu aufrufen, nicht für ihre eigene Partei zu stimmen – wenn man sie dafür rügt, treten sie als beleidigte Leberwurst aus diesem Verein aus, der offenkundig jede Selbstachtung verloren hat. Dieser (hinsichtlich seines Budgets) kleine, (hinsichtlich seiner Aussage und Bedeutung) große Film macht deutlich, wie wenig inzwischen von der gern an Maifeiertagen beschworenen Würde der Arbeit übriggeblieben ist, wie verkommen die Verhältnisse sind.

Völlig überraschenderweise hat der offenbar von den Regisseuren selbst, ohne öffentliches Geld produzierte Film denn auch kaum Beachtung gefunden. So etwas läuft, obwohl bereits in 16:9 gedreht, nicht im öffentlich-rechtlichen Qualitätsfernsehen, dessen Verantwortliche sich in der Regel nicht genug loben können. Und so etwas wird nicht in der Presse beachtet, auch nicht in deren Premiumprodukten, wo man auf dem knappen Raum, der überhaupt noch für derlei bereitgestellt wird, lieber Filme bespricht, die mit großem Reklameetat in die Kinos gebracht werden – selbst wenn das betreffende Blatt von diesem gar nichts abbekommt. Doch man möchte nicht aus der Reihe tanzen und damit aus der Rolle fallen: Der permanente Schwund der Auflage soll bekämpft werden, indem man über das berichtet, über das alle berichten. Am besten in der Weise, in der alle berichten. Und so sagt auch die Tatsache, daß „Rotweinrock und Lammfellmantel“ kaum beachtet (und dementsprechend wohl kaum gesehen) wurde, etwas darüber aus, wie die Verhältnisse sind.

 

Hier gibt es mehr zu dem Film samt einer Möglichkeit, ihn auf DVD zu bestellen.

 

 

Veröffentlicht am 1. Mai 2010. Bildquelle: Hannah Metten/Jan Gabbert.

 

 

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