Böse Menschen gibt es ? ja, es muß schon wieder von ihnen die Rede sein ?, die behaupten, der Journalismus ruiniere auch deshalb sein Ansehen immer weiter und mache sich immer überflüssiger, weil die Berichterstattung oft allzu deutlich der Meinung oder gar den privaten Obsessionen der Schreiberlinge folge.
Überhaupt keine Rede davon sein konnte, als gestern mittag der RBB eine bedeutende Meldung ins Netz stellte: Petition für Pferdekutschen-Verbot geht viral.
Eine Autorin (ja, überraschenderweise ist es eine Frau) des zwangsgebührenfinanzierten Senders konnte den Lesern gerade noch kurz skizzieren: ?In der Pferdekutsche durchs historische Berlin zu rollen, ist für einige Touristen ein Trip zurück in die Kaiserzeit.? Schon mit dem zweiten Satz mußte sie uns jedoch Erschütterndes mitteilen: ?Tierschützer verachten diese Touren schon lange: In ihren Augen sind die Kutscher und Passagiere Tierquäler.? Und muß man da nicht etwas machen? Jawohl: ?Eine am Wochenende gestartete Online-Petition gegen dieses Treiben sammelt nun ununterbrochen Unterschriften.?
Donnerwetter, da kann man mal sehen, wie auf öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus Verlaß ist: Drei Tage nachdem eine Online-Petition gestartet wurde, wird darüber schon vom RBB berichtet! Es ist ja nicht so, daß ständig alle möglichen Leute für oder gegen alles mögliche Unterschriften sammeln, was besonders bequem ist, wenn man sich dafür nicht mal vom Schreib- oder Cafétisch wegzubewegen braucht, da es viral geschieht, also virtuell, also real.
Zudem: Während sich unsensible Zeitgenossen, von denen manche womöglich noch nicht mal Veganer sind (obwohl doch eine vegane Ernährung voll im Trend liegt, wie uns in den Medien ständig mitgeteilt wird, und bestimmt nicht nur von der dortigen, gut verankerten Veganerlobby), während sich also Tierquäler mit ihrem liederlichen Lebenswandel nur hin und wieder dazu bequemen, Unterschriften zu sammeln, geschieht dies ?gegen dieses Treiben?, wie Kutschfahrten streng sachlich, objektiv und unvoreingenommen genannt werden, seit Samstag ?ununterbrochen?.
Und zwar durch eine Münchnerin, die findet, durch Berlin sollten keine Kutschen mehr fahren: ?Damit hat sie offenbar einen Nerv getroffen. Nach nur vier Tagen haben mehr als 49.000 Leute unterschrieben (Stand: Dienstag 11 Uhr).?
Eine Zahl, die um so mehr beeindruckt, wenn man bedenkt, daß von Samstag bis Dienstag 11 Uhr allenfalls drei Tage vergangen sein können. Aber sicher spielt hier weder die Erregung eine Rolle noch das Geschlecht oder die dreiste Behauptung, eine gewisse Ernährung beeinträchtige die Denkfähigkeit.
Wichtig ist auch nur, was rauskommt. Bei manchen Pferden zum Beispiel Durchfall. Schlimmer noch: ?In der Vergangenheit sei es unter den Pferden sogar zu Todesfällen gekommen.? ? Das muß man sich mal vorstellen: In der Vergangenheit ist ein Pferd gestorben! Erschütternd! Und alarmierend. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Zumal die Münchner Dame ?häufiger in Berlin sei?. Und was muß sie dort ein ums andere Mal erleben? ?Die Pferde werden nach ihrer Einschätzung nicht einmal ansatzweise adäquat versorgt.?
Dumme Menschen, denen es am rechten Bewußtsein gebricht, würden jetzt nach der zuständigen Aufsichtsbehörde sowie einem Amtstierarzt rufen, der den Zustand und den Versorgungsgrad der Pferde überprüft. Doch wozu sich solche Mühe machen? Die Dame ist eine ehemalige Reiterin und hat das im Gefühl.
Die zwangsgebührenfinanzierte Qualitätsjournalistin weiß daher auch: ?Ihr Aufruf scheint die Menschen zu berühren. Fast 50.000 Menschen haben unterschrieben und schließen sie ihrer Forderung nach einer Beendigung der Tierquälerei an.? Wobei selbstredend ganz unbedeutend ist, ob von der Reiterin oder von der Schreiberin per Ferndiagnose ermittelt wurde, daß hier überhaupt Tierquälerei vorliegt.
Wichtiger, denn daraus können wir sofort die bindestrichstrotzende Zwischenüberschrift ?Attraktion für die ?Freizeit-Spaß-jagende Bonzen-Elite?? basteln: ?Ein User geht sogar so weit, die Pferdekutschenfahrten als eine Belustigung für die ?Freizeit-Spaß-jagende Bonzen-Elite? zu bezeichnen.? Man sieht sie schon richtig: Die Bonzenelite, wie sie im wilden Galopp über Berliner Innenstadtstraßen mit Kutschen den ?Freizeit-Spaß? jagt und zu diesem Zweck die Tiere zu Tode quält.
Doch nicht nur diese schweben in akuter Lebensgefahr: ?Tatsächlich kommt es immer wieder zu Unfällen mit den Droschken in Berlin.? Schwachsinnige Schreiberlinge, die keine Ahnung von zeitgemäßem Premiumjournalismus haben, würden jetzt Beispiele anführen und vor allem Zahlen nennen. Die Fachkraft, pardon: Fachkräftin vom RBB weiß: ?Bereits 2009 hatte der Berliner Senat Leitlinien für Betreiber von Pferdefuhrwerken erlassen.? Doch genügen diese? Völlig überraschenderweise nicht. ?Die Tierschutzorganisation Peta fordert seit langem ein Pferdekutschenverbot und veröffentlicht seit 2009 Unfallzahlen aus ganz Deutschland. Im gesamten Jahr 2014 wurden demnach bundesweit 88 Passagiere bei Zwischenfällen mit Kutschen verletzt.?
Auch dies alarmierend und erschütternd. Wir erfahren zwar nichts über die Schwere der Verletzungen, auch nichts über deren Ursachen (Beim Einsteigen ausgerutscht? Während der Fahrt aufgestanden?), aber mit solchen Kleinigkeiten kann man sich jetzt nicht mehr aufhalten. Und erst recht nicht mit Firlefanz wie dem Einholen einer Stellungnahme der Angeklagten, pardon: Beschuldigten, zuständiger Behörden oder Politiker. Denn: 88 Verletzte deutschlandweit in nur einem Jahr! Wenn es, sagen wir mal, beim Radfahren so viele Geschädigte geben würde (zumal Nicht-Radfahrer), müßte man dieses ja auch sofort verbieten.
Was nun Schlimmes mit Kutschen in Berlin passiert ist, kann die überaus sympathische und stets besonnen agierende Organisation Peta offenbar leider nicht sagen, aber: ?Mit dem Stand vom März 2016 berichtet Peta von etwa zehn bis 15 Anbietern von Pferdekutschen in Berlin, die mehr als 100 Tiere für sich arbeiten lassen.? Das nennt man mal eine gewissenhafte Recherche! Durchgeführt von Menschen, die sich für ihre Sache richtig ins Zeug legen und keine Mühe scheuen! Bei der enormen, unüberschaubaren Zahl von ?etwa zehn bis 15 Anbietern? ist es natürlich auch nicht möglich, genauere Angaben zu ermitteln.
Und es spielt ja auch keine Rolle. Im Gegensatz zur abschließenden nochmaligen Betonung der Lebensgefahr, welche von Kutschen ausgeht: ?Im Dezember 2015 wurde am Pariser Platz ein Kind durch eine Pferdekutsche verletzt. Auch 2014 kam es zu mehreren Unfällen mit Pferdekutschen in Berlin.?
Die Forderung nach nicht einem absoluten oder strikten, sondern ?endgültigen Pferdekutschenverbot für Berlin? wurde dann auch auf der Website des RBB zu einem einmütigen Bekenntnis, einer machtvollen Bekundung des gesunden Willens aller anständig Denkenden und Empfindenden: Beim eingerichteten ?Voting? antworteten über achtzig Prozent, ob auch sie das totale Kutschverbot wollten, mit ?Ja, unbedingt ? am besten sofort?.
Der verbleibende Teil an Tierschädlingen sollte einem Tierschutzumerziehungslager zugeführt werden. Im Rahmen der endgültigen Lösung des Problems.