Auf dem Berliner U-Bahnhof Mehringdamm kann man seit über einem Jahr Erstaunliches erleben: Als er Mitte der sechziger Jahre umgebaut wurde, war man offenbar nach dem Motto ?Aus den Augen, aus dem Sinn? verfahren. Was in diesem Falle hieß: Was sich über den damals in der Bahnsteighalle eingezogenen Zwischendecken befand, interessierte nicht mehr.
Dies sorglose Vorgehen rächte sich, denn die gewölbten Decken aus der Entstehungszeit der 1924 in Betrieb genommenen Station entwickelten immer mehr Risse.
Die BVG entschloß sich zu einer Radikalkur und entfernte die Zwischendecken ? und, wo man schon mal dabei war, die gesamte, aus den Sixties stammende Verkleidung der Bahnsteighalle. Letztere soll nun, nach erfolgter Betonsanierung, ?getreu dem historischen Vorbild? wiederhergestellt werden.
So etwas klingt, spätestens seit der Zeitgeist in den achtziger Jahren in Nostalgieseligkeit versumpfte, immer gut. Und der professionelle wie der Amateurjournalismus hat in Berlin mittlerweile ein solches Niveau erreicht, daß auch Fachleute derartige Angaben des Verkehrsbetriebs einfach nachplappern.
Ist es doch nicht etwa so, daß beim 1966 abgeschlossenen Umbau aus der zuvor dreigleisigen eine viergleisige Station gemacht wurde, man dabei die Quertonnen über den Bahnsteigenden und eine der drei Längstonnen nahezu vollständig abbrach und an Stelle letzterer, wie auch über dem neuen, vierten Gleis, einen simplen Betonkasten errichtete. Und daß in gleicher Form die gesamte Bahnsteighalle um einige Meter nach Süden verlängert wurde.
Weshalb man auch nicht sagen kann: Ein ?historisches Vorbild? gibt es für den heutigen U-Bahnhof Mehringdamm eigentlich nur in Form der Gestaltung von 1966. Daß man der Station damals ein völlig neues Gesicht gab, war in diesem Falle einmal nicht (nur) zeittypischer Ignoranz gegenüber allem Historischen geschuldet, sondern schlicht der Tatsache, daß weitgehend ein neues Bauwerk entstanden war. (Da von der alten Station nichts mehr zu sehen war und U-Bahnhöfe aus den sechziger Jahren der Berliner Denkmalpflege grundsätzlich als nicht schutzwürdig erscheinen, steht dieser auch nicht in der Denkmalliste.)

Links oben über dem Gleis Richtung Rudow die kostbaren Reste der westlichsten Tonne. Entlang der Stützen auf dem Bahnsteig und rechts die ekelige, wertlose Gestaltung aus den sechziger Jahren.

Der Blick aus der entgegengesetzten Richtung: Hinten die Tonnenreste, vorn die Verlängerung der Bahnsteighalle aus den Sixties.

Ebenfalls von Süden her gesehen: Der westliche Anbau an die alte Bahnsteighalle. Der nackte Beton wurde ursprünglich durch die inzwischen abgebrochene Zwischendecke verborgen, die Beschilderung ist nicht bauzeitlich.

Das östlichste Gleis Ende Mai 2011: Hinten die alte, gewölbeartige Decke, vorn der südliche Anbau aus den Sechzigern.
Vielmehr hat man in unseren Tagen erkannt, wie wertvoll jedes Stück Stuck ist. Oder auch nur ein Zierat im Beton. Weshalb man jetzt unter die beiden alten, rissigen Tonnen zwar eine neue Betonschicht einzog ? und damit auch alle historischen Spuren tilgte. Aber die derart wegbetonierten Verzierungen und Gliederungen werden natürlich auf den neuen Betonbögen nachgebastelt.
Noch besser kommt es an den Hintergleisflächen. Die 1923/1924 eröffneten Stationen der Nord-Süd-Bahn, von See- bis Gneisenaustraße, wurden ja nicht dadurch geprägt, daß sie in der Notzeit des Ersten Weltkriegs und der ersten Jahre danach entstanden, nur mit Ach und Krach überhaupt fertiggestellt werden konnten, und ? da für Ausstattung nun wirklich kein Geld vorhanden war ? zum größten Teil lediglich verputzte und getünchte Wände aufwiesen und noch immer aufweisen. Einst im heutigen U-Bahnhof Mehringdamm dennoch vorhandene Fliesen dürften ähnlich ausgesehen haben wie heute noch in der Station Platz der Luftbrücke zu sehen oder bis vor kurzem in der Haltestelle Südstern zu sehen gewesen: hauptsächlich quadratisch und hell.

Ende Oktober 2011 gab es auf dem in Sanierung befindlichen U-Bahnhof Südstern noch einige wenige historische Fliesen. Der Rest ist Neubrand. Unten: Das östlichste Gleis im U-Bahnhof Mehringdamm Ende Oktober 2011 von Norden her gesehen.

Angesichts dieser historischen Vorbilder liegt es nahe, die Hintergleisflächen des U-Bahnhofs Mehringdamm jetzt mit großen dunklen rechteckigen Fliesen zu verkleiden. Zumal dafür, daß die Wände verdunkelt werden, der Boden aufgehellt wurde: Schon seit Jahren bedecken auch am Mehringdamm die Bahnsteige schöne helle, nicht ganz billige Granitplatten. ?Getreu dem historischen Vorbild.? Aber sicher doch.

Auch der benachbarte, ebenfalls 1924 eröffnete U-Bahnhof Gneisenaustraße wurde ? bereits Ende der sechziger Jahre ? ?getreu dem historischen Vorbild? saniert: Wie zuvor Aufbauten, Stützen und die Rahmen von Wandschildern und Reklametafeln sind die damals angebrachten Fliesen irgendwie grün.