Es stimmt was nicht im Berliner Politikbetrieb. Eben noch waren die hauptstädtischen Grünen auf dem besten Weg, in der Manier ihrer Parteifreunde in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Hamburg oder Bremen zwecks Regierungsbeteiligung einem Projekt zuzustimmen, gegen das sie vor der Wahl eifrig gewettert hatten. Am Dienstag hatte gar ihr Fraktionsvorsitzender Ratzmann die bemerkenswerte Leistung vollbracht, sich in der ?Abendschau? des RBB so mit Ausflüchten und Wortklaubereien zu winden, daß es sogar der ihn befragenden, sonst sehr blonden ?Abendschau?-Ansagerin Cathrin Böhme zu dumm wurde und sie wie eine Journalistin wirkte. Da gibt es plötzlich massiven Widerstand gegen das übliche Umfallen.
Dieses unvermittelte Beharren auf einem Verzicht der Verlängerung des Autobahnstadtrings ? noch bevor die Koalitionsverhandlungen mit der SPD überhaupt offiziell begonnen haben ? hat natürlich einzig und allein mit der Prinzipienfestigkeit vieler grüner Amts- und Mandatsträger wie auch einfacher Mitglieder zu tun. Und rein gar nichts damit, daß die Grünen ? wiewohl sie gerade ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Berliner Abgeordnetenhauswahl eingefahren haben ? plötzlich als spießige Alte-Knacker-Partei dastehen, die sich allen Nonkonformismus und Mut längst selbst ausgetrieben hat, stets eifrig darum bemüht, bloß keine schwäbischen Hausfrauen oder Wilmersdorfer Späterstgebärenden zu verschrecken. Als Partei der Soccer Moms und frustrierten Bibliothekarinnen, als die perfekten Vertreter des bundesrepublikanischen Biedermeiers, wo man sich gern mit noch ein paar Verboten und Vorschriften mehr als Symbol- und Ersatzpolitik beruhigt ? die Kinder sollen es doch schließlich mal besser haben und es vor allem nicht so wild treiben dürfen wie man selbst. Und es ist ja auch nicht so, daß Vertreter der Grünen jetzt exakt jene Arroganz und jenes Unverständnis gegenüber den Neulingen im Politikbetrieb an den Tag legen würden, mit denen die SPD vor dreißig Jahren den Grünen begegnet ist.
Ach ja, die Neulinge, diese Penaten oder Piroggen oder wie die heißen ? mit deren Überraschungserfolg, der das grüne Rekordergebnis für die Medien uninteressant werden ließ, hat die neue grüne Zurückhaltung beim Umfallen natürlich absolut nichts zu tun. Es ist auch reiner Zufall, daß mit dem (zumindest bisherigen) Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg ein Grünen-Politiker für den Fall, daß die Autobahn mit grüner Zustimmung verlängert wird, mit seinem Parteiaustritt gedroht hat, der in einer Hochburg der Piratenpartei amtiert.
Denn bestünde zwischen dem ungewohnten Verhalten der Grünen und ihrer Angst vor der neuen Konkurrenz ein Zusammenhang, dann hieße das ja: Die Piraten (und all jene, die sie gewählt haben) haben bereits etwas bewirkt.
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