In einem Beitrag zum zwanzigjährigen Jubiläum der Eröffnung des ICE-Verkehrs in Deutschland hat Roger Willemsen einen Wunsch geäußert: Die Zugfenster mögen sich doch bitte ? wieder ? öffnen lassen.
Dieser Wunsch ist nicht nur anachronistisch, sondern auch völlig unverständlich.
Beides nicht nur, weil offene Fenster insbesondere bei Fahrtgeschwindigkeiten zwischen zwei- und dreihundert Kilometern pro Stunde nicht allzu angenehm sein könnten. Auch bei Zügen, welche nur mit höchstens einhundert km/h verkehren, sind Fenster, welche sich öffnen lassen, absolut unverantwortlich und daher unvorstellbar.
In diesem Zusammenhang muß darauf hingewiesen werden, daß auch das Verbot ? im Zweifel durch eine Verordnung der EU (geheiligt werde ihr Name, sie führet uns ins Paradies) ? von Lüftungsklappen in Zugfenstern nur eine Frage der Zeit sein kann. Wäre es doch ohne weiteres vorstellbar, daß jemand seinen Arm oder auch ein Bein oder ein anderes Körperteil, am Ende gar einen Säugling, durch die Öffnung zwängt und es auf diese Weise, insbesondere wenn der Zug fährt, zu schweren körperlichen Schäden kommt.
Früher, als die Menschen noch dumm und vor allem unbeschützt waren, da erachtete man es als ausreichend, wenn unter den ? ursprünglich vollständig ? zu öffnenden Fenstern der schlichte Warnhinweis ?Nicht hinauslehnen? prangte. Wer es doch tat und womöglich gegen einen Signalmast knallte, war eben selbst schuld.
Finster waren diese Zeiten und die Zustände, die in ihnen herrschten. So finster wie es noch heute in manch Gegenden zugeht, in denen man sich in Bussen und Bahnen statt einer Klima- oder Belüftungsanlage einfach offener Fenster bedient.
Wir sind glücklicherweise unendlich viel weiter. Wir wissen, daß der Mensch als solcher ein dummes, unmündiges Kind ist und immer bleiben wird. Weshalb er bevormundet und umerzogen werden muß ? natürlich nur zu seinem Schutze, nur zu seinem Besten!
Man muß ihm beispielsweise möglichst groß und deutlich mitteilen, daß Kartoffelchips als ständiges Hauptnahrungsmittel eher ungeeignet sind, daß Alkohol betrunken machen könnte oder das Mikrowellengerät nicht zum Trocknen von Kleinkindern geeignet ist. Und man muß ihn davor schützen, eine verrauchte Kneipe zu betreten, auch wenn am Eingang deutlich darauf hingewiesen wird, daß in dem Lokal geraucht werden könnte, auch wenn er ein solches Lokal vermutlich sowieso niemals aufsuchen würde. Zu seinem totalen Schutz muß das Rauchen in jedem Lokal verboten werden, und zwar strikt und absolut.
Darüber herrscht ja weitgehend Einigkeit, unter unseren Menschen und erst recht in unseren Medien.
Die Zeiten, in denen man Menschen für intelligent genug hielt, ein Lokal zu verlassen oder gar nicht erst aufzusuchen, in welchem ihnen die Luft zu verqualmt ist, sind glücklicherweise vorbei, und zwar ein- für allemal. Die Zeiten, in denen man Menschen für intelligent genug hielt, ihren Kopf nicht aus dem Fenster eines fahrenden Zuges zu halten, sind glücklicherweise vorbei. Und bald werden es ? in dieser Konsequenz ? hoffentlich auch jene Zeiten sein, in denen man Menschen für intelligent genug hielt, die Politik ihrer Kommune, ihres Kreises, ihres Landes mitzubestimmen.