Lang und schwer war der Kampf, doch unmittelbar vor dem Internationalen Feiertag der werktätigen Massen wurde er von einem Sieg gekrönt, welcher in die Geschichte eingehen wird!
Um Geschichte geht es hier ja generell: Um ihre Sichtbarmachung, angeblich. Um ihre Auslöschung, in Wahrheit. Denn nichts anderes bedeutet die heute vollzogene Umbenennung eines Teils der Berliner Kochstraße nach Rudi Dutschke.
Der Druckereitrakt des Axel-Springer-Verlags, der hier einst einen ganzen Block bedeckte, ist längst abgerissen, auch der gegenüberliegende Parkplatz, auf dem zu Ostern ’68 Springers Lieferwagen brannten, wurde teils bebaut, teils zum Hinterhof gemacht. Dummerweise befindet sich auch der Haupteingang des Springer-Hauses längst nicht mehr in der Kochstraße, so daß dieser Verlag mit der Umbenennung nach einem seiner einstigen Erzfeinde (und vorherigen Mitarbeiter) nicht mehr so richtig zu ärgern ist.
Doch wozu sich auf seine alten Tage, jetzt, da die 68er reihenweise in Rente gehen (und sich zum fünfzigsten Jubiläum jenes namensgebenden Jahres ihre Reihen schon deutlich gelichtet haben dürften), diesen – wenn auch nur noch kleinen – Spaß versagen?
Macht doch nichts, wenn nun auch noch der Straßenname verschwindet. Wenn Historiker fortan immer schreiben müssen: ?In der Kochstraße (heute Rudi-Dutschke-Straße)?. Wenn Berlins altes Zeitungsviertel seine wichtigste Bezugsadresse verliert. Wenn Ullsteins republikanische Trutzburg der Weimarer Jahre künftig an falscher Stelle vermutet wird. Wenn niemand mehr versteht, was in den Sechzigern, Siebzigern, Achtzigern mit ?ein Verlagshaus in der Kochstraße? gemeint war. Einerlei, ob nachfolgende Generationen (also schon die Praktikanten des Jahres 2010) sich fragen werden, warum es denn anno ?68 solchen Rabatz vor dem Oberstufenzentrum oder der Ideal-Versicherung gegeben haben soll ? in dem noch ?Kochstraße? heißenden Teil der Kochstraße ?, wo doch das Springer-Gebäude in der Rudi-Dutschke-Straße steht.
Daß Ihr, verehrte Damen und Herren von der taz, und Eure Gesinnungsgenossen mit dieser Umbenennung nicht mehr und nicht weniger getan habt, als die vornehmsten Interessen des Volkes zu vertreten, zeigte bereits der von der CDU und anderen finsteren Faschisten angezettelte Bürgerentscheid: An ihm beteiligte sich im eigentlich sehr linken Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die überwältigende Zahl von 16,6 Prozent der Stimmberechtigten. Von diesen votierten wiederum bombastische 57,1 Prozent mit ?Nein?, was meinte: ?Ich bin nicht für eine Rücknahme der bereits beschlossenen Umbenennung.? 9,46 Prozent der Wahlberechtigten sprachen sich folglich für die Rudi-Dutschke-Straße aus. Donnerwetter: Fast jeder zehnte!
Der Jubel, zumindest die Genugtuung, in den befreundeten Medien war gewiß ? zumal man dort die Zahlen gern dezent übersah. Und als Bezirksbürgermeister Schulz (Grüne) heute endlich, nach langem Ringen, feierlich das neue Straßenschild enthüllen konnte, wurde er dabei umingt von einer begeisterten Menge von rund hundert Bürgern. Pardon, liebe taz, für Dich natürlich ?BürgerInnen?.
Und um Dich, liebe taz, geht es ja eigentlich, auch wenn das – wie überraschend – kaum jemand sagte. Denn einen Rudi-Dutschke-Weg gibt es in Berlin schon seit längerem, um nicht irgendwo, sondern in dem historisch doch recht korrekten Umfeld der Freien Universität. Eigentlich sollen Doppelbenennungen vermieden werden. Zudem entstehen, auch und gerade im stellenweise noch immer recht öden Stadtzentrum, laufend neue Straßen, welche auf würdige Namenspaten warten. Doch Du, liebe taz, sitzt nun mal in der Kochstraße.
Natürlich wäre es schöner gewesen, wie jedes andere Unternehmen hättest auch Du Dir einfach eine genehme, den Briefkopf schmückende Adresse für den Firmensitz kaufen können. Doch mal abgesehen davon, daß Du – mangels ausreichend hoher Auflage und daraus folgend auch mangels Werbekunden – finanziell seit dreißig Jahren klamm bist: Du hast wohl ganz richtig vermutet, daß selbst die erdrückende rot-rot-grüne Mehrheit im zuständigen Bezirksparlament ?Tazstraße? nicht durchgehen lassen würde. Da mußte dann eben ersatzweise der Rudi herhalten. Und die Geschichte verschwinden.
Dazu sei Dir noch einmal herzlich gratuliert. Und nie aufgeben, vielleicht kommt ja doch noch einmal der Tag, an dem die verkaufte taz-Auflage 100.000 Exemplare erreicht. Na, oder wenigstens 90.000.